Diese Frau war den Menschen, vor allem den Männern ihrer Zeit, ein Rätsel und ist es heute noch. Lou Andreas-Salomé ist eine der schillerndsten und vielfältigsten europäischen Frauenfiguren des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.Göttingen. Zahlreiche Biographen haben sich mit dem Leben der weitgereisten Schriftstellerin und Psychoanalytikerin befasst.
Im Auftrag des Deutschen Theaters schrieb die Berliner Theaterautorin Tine Rahel Völcker das Stück „Lou Andreas-Salomé – Ein Analyse-Poem in drei Sitzungen“, das jetzt im Studio des Deutschen Theaters uraufgeführt wurde. Eine faszinierende, überaus dichte und vielschichtige Form hat Völcker mit ihrem poetischen Text geschaffen, der von Lutz Keßler kunstvoll und eindringlich auf engstem Raum inszeniert wurde.
Der Bogen spannt sich von 1882, dem Jahr des Kennenlernens mit Friedrich Nietzsche und Paul Rée bis zu Salomés Zeit als Psychoanalytikerin im Haus „Loufried“ auf dem Göttinger Hainberg, wo sie von 1903 bis 1937 als „Hexe vom Hainberg“ sagenumwoben lebte.
Lou bleibt Regisseurin ihres Lebens
Die kluge und schöne Lou (Anja Schreiber) birgt zu viele Facetten, als dass man sie von einer Person allein spielen lassen könnte. So nehmen neben ihrer Mutter (Angelika Fornell) auch andere Ensemblemitglieder ihre Rolle ein und betonen auf diese Weise einzelne Anteile ihrer Persönlichkeit und ihres Lebens.
Doch Lou selbst bleibt – anders als viele andere Frauen ihrer Zeit – die Regisseurin ihres Lebens, sie besetzt die eigenwilligen Rollen: Einen Ehemann (Nikolaus Kühn), mit dem sie eine platonische und sehr langlebige Beziehung lebt, Brüder im Geiste wie Nietzsche (glänzend außer sich: Michael Meichßner) und Paul Rée (Andreas Daniel Müller) und Liebhaber wie den jungen Dichter Rilke (ebenso Müller, wunderbar verspielt).
So tragen auch alle nach ihrem Vorbild ihr schwarzes, asketisches Kleid. Gleich einer Göttin steht sie zu Beginn der ersten Analysesitzung erhöht, barfuß und jenseits der Konventionen in der geöffneten Tür als Lichtgestalt im Leben von Vieldenker Friedrich Nietzsche und Philosoph Paul Rée. Sie eröffnet sprichwörtlich einen herrlichen Ausblick. Beide machen ihr einen Heiratsantrag, vergeblich. Sie sei „ein Mann im Kleid, der reinste Willensakt“.
Tiefsinniges Vergnügen
Auch als „mutig wie ein Löwe“ beschreibt und beschimpft sie Nietzsche, mit dem es zum Bruch kommt. Nur der Orientalist Friedrich Karl Andreas kann mit dem Löwen in ihr umgehen und tanzt innig mit ihm in Form eines Kuscheltiers, während Lou Liebschaften nachgeht.
Wir kommen der Figur Lou näher und doch bleibt viel verborgen hinter der großflächigen braunvertäfelten Wand, in der Lou am Ende ihres Lebens verfasste Schriften sofort wegschließt. Ein gehaltvolles und doch wohl ausbalanciertes, tiefsinniges Vergnügen mit eindrucksvoller Ensembleleistung.